Winnetou und Zwetschgenkuchen

Winnetou und Zwetschgenkuchen

Ich jogge. Es ist toll. Zumindest versuche ich mir das einzureden. Deswegen höre ich Winnetous Filmmusik. Heute morgen war der Himmel noch blau und es war warm. Jetzt ist es kalt und es regnet.

Tralàla. Winnetou reitet vor meinem inneren Auge vorbei. In der nächsten Szene bin ich selbst Winnetou. Ich bin acht und auf dem Weg zur Geburtstagsparty meiner Cousine. Ich renne und meine Haarpracht weht. Ich sehe meinen eigenen Schatten. Eine Silhouette mit wehendem Haar. Die schwarze Perücke auf dem Kopf. Das Indianerkostüm ist mir auf den Leib geschneidert. In der einen Hand den Tomahawk, in der anderen die Friedenspfeife. Im Gürtel steckt das Gummimesser. Die Silberbüchse hängt über meiner Schulter. Ich kann gut rennen mit dem Gewehr. Zu der Zeit haben weder Intschu Tschuna noch mein leiblicher Vater mein Talent erkannt. Sonst hätte ich vielleicht längst eine olympische Medaille im Biathlon gewonnen.

Ich stolpere, fange mich und jogge weiter durch den bayerischen Regen. Die Wade zwickt. Wahrscheinlich vom Intervalltraining vom letzten Wochenende. Winnetou musste glaube ich nie trainieren. Der war immer fit. Und geschwitzt hat er auch nie. Hätte Winnetou einen Blog, würde sich das wahrscheinlich in etwa so lesen:

Ich fühle mich stark. Die 72 Stunden am Marterpfahl habe ich gut überstanden. Sonnenbrand? Iwo. Ich war schon davor eine Rothaut. Nachdem Old Shatterhand mich befreit hat, habe ich noch drei Banditen niedergeschlagen (nur betäubt natürlich), einen Banküberfall verhindert und das Feuer auf der Ranch vom alten Miller gelöscht. Alles easy.

Inzwischen schwitze ich. Ich öffne meine Jacke. Unter der Mütze juckt mein kaum mehr vorhandener Skalp. Sam Hawkins, nie habe ich mich dir näher gefühlt als heute. Ich höre dein gackerndes Lachen im Ohr. Sehe wie deine rote Rübe vor dem blauen Himmel glüht wie die rote Sonne des wilden Westens. A propos blauer Himmel. Habe ich schon gesagt, dass es regnet? Und kommt es mir nur gerade so vor, dass es in Winnetou-Filmen nie geregnet hat?

Während ich mich den Hügel hinaufschleppe, hüpfen immerhin meine Gedanken wie ein junges Rehlein. Sie sind wieder bei dem Kindergeburtstag vor vierzig Jahren. Von dem musste mich meine Mutter abholen. Denn Winnetou und der Zwetschgenkuchen, den es dort gab, wurden keine Brüder. Nach kurzem heftigem Kampf trennten sich damals ihre Lebenspfade wieder. Es muss Manitus Wille gewesen sein, dass der junge Held auf der Rückfahrt totenblass auf der Rückbank kauerte.

Die Zeiten haben sich geändert. Heute liebe und vertrage ich gebackene Zwetschgen. Nach dem Duschen werde ich mir ein riesiges Stück von Omas vibonischen Zwetschgenkuchen gönnen. Mit Sahne! Nach den in der letzten Stunde erlittenen Qualen liegt das drin. Ach, wenn ich doch schon zuhause wär’. Iltschi, wo bist du?

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